"Erlebnis"

© Dino P. 1997

Ich war mit Elena in einem kleinen Lokal unter den Kastanienbäumen essen. Dazu bestellte ich Torgiano, Riserva Monticchio, und vergass, dass Elena zwar gerne ein paar Gläser mittrank, wenn sie sich wohlfühlte, es ihr aber in den Kopf stieg, wenn sie das Mass überschritt. Sie trank sich an diesem Abend etwas in eine Entschuldigung hinein. Ihr Mann war auf einer Geschäftsreise und es war klar, dass sie nachher nicht gleich nach Hause ging, um auf ihn zu warten. Wir kannten uns zu lange, als dass wir uns Situationen erklären mussten. Sie hatte mich angerufen und ich wusste, dass sie allein war und an mich dachte. Manchmal brauchte es nicht mehr. Und als das Ehepaar am Nebentisch, das sich über Sehenswürdigkeiten unterhielt, noch eine Flasche bestellte, hielt ich mit. Wenn die ohne Vorwürfe trinken konnten, musste ich mir keine Gedanken machen, auch etwas zu zwitschern.

Elena hielt das Glas in meine Richtung und ich füllte es zu einem Drittel. Sie sprach nicht von ihrem Mann, den sie einmal gewählt hatte, weil sie von Familienwelt träumte und der sie geheiratet hatte, um eine Frau zu haben. Sie sprach nie von ihrem Mann, und hätte sie es getan, wäre ich nicht mit ihr gewesen. Sie sprach etwas von ihrer Arbeit, und fragte nach meiner. Sie bestellte ein Dessert und ich sah ihr über die Kaffeetasse hinweg zu. Wir hatten Zeit. Danach gingen wir.

Wir waren zu Fuss gekommen und gingen durch den kleinen Wald zurück. Die Bäume warfen den letzten Schatten in den Abend, als sie mich küsste. Dann präsentierte sie die Mischung aus vergangenem Verzicht und gegenwärtiger Leidenschaft. "Es ist so schön hier", sagte sie, griff zwischen meine Beine und presste sich die andere Hand auf den eigenen Schoss. "Deshalb ist das ein Wanderweg", sagte ich und zeigte nach links. Ein kleiner Hund lief einer Frau voraus und kläffte im Press-Tenor in unsere Richtung. Elena lächelte verlegen und zog ihre Hand zurück. Ich kannte den Hund und kannte die Frau, die ihm an der Leine folgte und grüsste beide. Sie machte grosse Augen und musterte Elena im Vorübergehen in allen Details. Ich unterdrückte ein Grinsen, aber das hatte ich oft erlebt; Frauenblicke auf Frauen, auf Vernissagen und Parties, die Welt erklärt in Sekunden. "Jetzt hat sie wieder ein Gesprächsthema", sagte ich. "Was meinst du?", fragte Elena. "Ach, nichts", sagte ich und sah dem Kläffer und seiner Frau nach. Elena hängte bei mir ein und legte den Kopf auf meine Schulter. Dann lachte sie.

"Ich habe einen kleinen Schwips", sagte sie. "Und ich muss ganz dringend Pipi!" Sie hatte es sehr eilig, schürzte den Rock auf und zog ihr weisses Höschen nach unten, hockte sich gleich an der Böschung neben dem Weg hin. Sie war so in der Hocke, dass ich sie dabei sehen konnte, als sie einen Seufzer von sich gab und ihr Goldregen mit einem leise zischenden Geräusch ins Gras plätscherte. "Das tut gut", lächelte sie und sah mich direkt an. Als sie fertig war, fragte sie mich nach einem Papiertaschentuch. Ich warf ihr eines zu. Den Slip zog sie sich gar nicht mehr an, sondern steckte ihn mir in die Tasche. Ein Glühwürmchen blinkte an uns vorbei, und ich küsste ihren Nacken. "Wir hätten heiraten sollen", sagte sie plötzlich. "Nein. Dann wären wir statt Betrüger die Betrogenen", sagte ich. "Ist es Betrug?", fragte sie. "Willst du es juristisch?", fragte ich, "Von einem Staatsanwalt bestätigt, der zwar das Gesetz, aber nicht das Leben kennt und selbst die ganze Zeit versucht, seinen Seitensprung zu verheimlichen?" "Wo du wieder hindenkst. Abgesehen davon seid ihr Männer zu dumm in diesen Dingen", sagte sie und wusste, wovon sie sprach. "Da hast du recht. Affären sind 90 % Organisation und 10 % Seitensprung. Das vergessen die meisten", sagte ich. "Und wenn der Gatte mit dem Hund bei Regen spazieren geht, nach zwei Stunden zurückkommt und der Hund ganz trocken ist und nach Parfüm riecht. Das ist einer Freundin passiert", meinte sie, "Nun sitzen beide beim Ehetherapeuten und erklären es ihren Kindern." "Wenn man keine Menschen mehr kennt", sagte ich, "Findet sich immer noch ein Therapeut für jeden Fall in der Nähe. Die Welt lässt keine Möglichkeiten aus."

Wir gingen noch weiter und kamen in die kleine Strasse, die zum grossen Haus führte. Es stand etwas abseits der anderen, gesäumt von einer grossen Hecke, die neugierige Blicke mit Grün bewarfen. "Soll ich Kaffee machen", fragte ich, als ich die Türe öffnete. "Willst du Kaffee trinken?", war ihre Gegenfrage. "Eigentlich nicht." Sie kannte die Räume und störte sich nicht an der herrschenden Unordnung. Sie selbst war chaotisch und empfand es als organische Ordnung. Auf meinem grossen Tisch blieb gerade genug Platz frei, um zu arbeiten und mit den Ellbogen nicht anzustossen. Elena fuhr mit dem Finger der Kante entlang. "Abstauben wäre nicht schlecht", meinte sie. "Du kämest nicht weit. Der Staub liebt mich und besonders die Bücher", sagte ich.

Sie stand vor dem Tisch, blätterte in einem Buch von Klabund und las etwas, während ich ihr Profil betrachtete. "Willst du lesen?", fragte ich. "Gibst du mir dein Tagebuch?" "Zügle deine Neugier. Ich führe keines. Und wenn, dann wären die Sätze chiffriert", sagte ich. "Mein Name auch?" "Gerade der. Und auch sonst alles." "Alles?", fragte sie, drehte sich um und blickte. "Alles", sagte ich, beugte mich zu ihr hinunter und küsste sie. Ihr Haar. Die Achseln verwirrten mich mit ihren Vertiefungen, als sie die Arme um meinen Nacken legte. "Was hast du vor?", fragte sie. Es gab keine Antwort. Meine Hände rutschten unter den Stoff auf ihre Brüste. Unsere Lippen trafen sich und spielten ihre Spiele. Ihre Hände hielten mich fest, um zu sagen, dass ich nicht aufhören sollte. Der Stoff über ihren Brüsten kräuselte sich wie Crêpe de Chine und zeichnete meine Finger nach.

"Gehen wir hinüber", sagte ich. "Nein, bleiben wir hier." Sie stand auf und zog sich aus. Warf die Kleider über die Lehne des Stuhles und drehte sich um. Elena war schamfrei nackt und bewegte sich nicht anders, als wenn sie angezogen wäre. Es war selbstverständlich. Ich bewegte mich nackt immer hölzern, wie beschämt, und sie lachte darüber und versuchte es mir auszureden. "Du bist dran", sagte sie. Ich berührte sie. Ihre Haare waren feucht. Dann wollte sie nicht warten und zog mich aus, warf einen Stapel Papier zu Boden und setzte sich auf den Tisch. Dann liebten wir uns, bis wir auf den Teppich zu liegen kamen und unseren erschöpften Atem über die Haut des andren streifen liessen. Wir lagen im Dunkeln und standen nicht auf, um das Licht anzumachen. Sie hatte Zeit bis morgen und lag später neben mir im Bett und schlief und nichts sonst. Für einen müden Augenblick bedauerte ich, sie nur so spärlich bei mir zu haben. Aber ich bedauerte nicht die Freiheit.

Ich träumte diese Nacht nicht oder vergass die Träume beim Aufwachen. Sie war schon wach, stand auf dem Balkon und rauchte alleine ihre Morgenzigarette und sah träumend auf den See. Nach dem Kaffee duschten wir zusammen. Die Dusche war klein, wir lachten viel und passten vergebens auf, keine Überschwemmung anzurichten. Ich musste lächeln, als sie meinen nassen Körper an sich zog. Dann, es ging gegen Mittag, sah sie auf die Uhr. Wir verabschiedeten uns wie immer. Ich dachte an den Abend und ihr Fehlen und wusste, dass es eine lange Zeit ging, bis ich sie wiedersah.

Dino P.

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