"Die harte Tür"

© Lost Angel 2000

 

Hi. Ich bin James, Türsteher eines seit Jahren top angesagten Ladens. Unsere Discothek ist in einem großen Gebäude zur Untermiete, das moderne Kunst beherbergt. Tagsüber Museum, und nachts geht der Larry ab.

In dieser Großstadt ist es wahnsinnig wichtig, daß man "hip" und "in" ist. Die Leute definieren ihr Selbstbewußtsein darüber, welches Auto sie fahren und in welche Discos sie reinkommen. Um bei uns reingelassen zu werden, würden viele ihre eigene Großmutter verkaufen. Nur was wollen wir schon mit der lieben Großmama? Das zieht bei uns nicht.

Nein, eigentlich sollte ich es nicht verraten, aber es ist längst kein Geheimnis mehr: Unsere Disco ist gerade deshalb so berühmt, weil es so schwer ist, hineinzukommen! Unsere DJs sind zwar wirklich top, und unsere Gastronomie kommt von einem echten Feinschmeckerlieferanten, aber allein das hätte uns nie so groß gemacht. Nein, es ist einfach tierisch schwer, bei uns reinzukommen: Wir haben die härteste Tür der Stadt! Natürlich ist damit nicht das Material gemeint, sondern einfach die Entscheidung, wen wir reinlassen, und wen nicht. Anderswo mag es reichen, hübsch, jung und weiblich zu sein oder aber gut gekleidet und mit einem adäquaten Fortbewegungsmittel ausgerüstet zu erscheinen. Bei uns ist das eine Grundvoraussetzung, aber dann geht das Spiel überhaupt erst los!

Die Tricks, um reinzukommen, sind endlos. Von "ich bin ein Freund des Geschäftsführers" über das Zücken von (meist falschen) Presseausweisen oder der Behauptung "Grüß Gott, Maier von der Gewerbeaufsicht, dürfen wir ein Blick auf Ihr Etablissement werfen?" haben wir nun wirklich schon alles gehabt. Auch die Mädels sind sich für nichts zu schade - sie geben uns Einblicke, die ihr Freund so nur im Dunkeln präsentiert bekäme und versprechen Dinge, die in gewissen Häusern Hunderte von Mark kosten würden. Doch es ist so schal: wir wissen ja, warum sich Männlein und Weiblein vor unserer Tür zum Deppen machen. Beeindrucken kann man uns damit nicht. Wer wirklich wichtig ist, wissen wir - und wer an einem bestimmten Abend von der Art her am besten in unser Lokal paßt, dafür haben wir auch einen Blick. Insofern hat bei uns jeder eine Chance, wenn er oder sie freundlich, angenehm und akkurat angezogen ist. Aber eine Garantie gibt es nicht, und erzwingen kann man es auch nicht.

Manche der Tricks kenne ich, seit ich hier arbeite. Einer der ältesten Sprüche insbesondere der Damenwelt ist zum Beispiel "oooch, bitte bitte laß mich rein, ich muß ganz dringend auf Toilette!!!" Natürlich fallen darauf nur Anfänger an der Tür herein. Denn einerseits sind wir nun wirklich keine öffentliche Bedürfnisanstalt, und wenn die Schicksen sich schon stundenlang schminken, dann können sie gefälligst auch zuhause nochmal aufs Töpfchen gehen, oder? Und außerdem haben wir eine riesige und ausreichend schwach beleuchtete Parkanlage hinter unserem Gelände, sodass sich so ein Problem ohne weiteres vorher lösen ließe. Denn manchmal kann man durchaus erkennen, daß das dringende Bedürfnis nicht vorgetäuscht ist - nein, die Damen haben einfach nur ein paar Drinks zuviel gezischt, werden übermütig und meinen, heute nacht sei unser Lokal ihre persönliche Trophäe.

Aber nein, so nicht. Eine kleine sadistische Ader hat jeder gute Türsteher, und es gibt einfach keinen schöneren Anblick, als ein paar leicht angeschickerte Damen, die im gleißenden Scheinwerferlicht vor unserer Tür die Beine ineinander verknoten und das Gesicht verziehen, obwohl sie krampfhaft versuchen, Haltung zu bewahren. Nein, das sind die Momente, die es wert sind, diesen öden und schlecht bezahlten Job zu machen!

Normal machen wir unseren Job ja recht simpel nach 'Schema F': Klappe auf, "nur für Stammgäste", Klappe zu. Bei solchen "Sondervorstellungen" allerdings würden wir uns so ja um den Genuß bringen. Also machen wir den guten Hoffnung, daß sie schon noch reinkommen - nur nicht jetzt, sondern etwas später. So in 20, 30 Minuten. Aber nur, wenn sie nicht weggehen. Weil dann sei der strenge Kollege mal selbst auf Toilette, oder der Chef in der Küche, oder es sind einfach genügend andere Gäste gegangen, damit man wieder neue einlassen kann. Und so bleiben sie brav draußen stehen, denn 20 Minuten, das hört sich ja nicht schlimm an.

Mit einer vollen Blase sind 20 Minuten aber natürlich verdammt lang. Zumal im Minirock in Herbst oder Frühjahr, wo ein längerer Aufenthalt im Freien, außerhalb des kuschlig warmen fahrbaren Untersatzes, gar nicht eingeplant war. Da kriechen kühle Finger ganz hinterhältig die Beine empor und zwischen dieselben, und der Blasendruck steigt wunderbar schnell auf ein Level, wo zwar noch kein roter, auf jeden Fall aber "gelber Alarm" angesagt ist.

Feiglinge verziehen sich dann in den erwähnten Park und sind eiligst nach zwei Minuten wieder da, in der Hoffnung, daß wir das nicht gemerkt haben. Doch das ist gegen die Spielregeln und uns entgeht nichts, und so ist dann leider leider die Chance verpaßt, der Kollege oder Chef sei gerade jetzt weggewesen, aber inzwischen schon wieder zurückgekehrt, und vor 1-2 Stunden wird er sicherlich nicht nochmal verschwinden, da er einen Ehrengast persönlich begrüßen will...

Doch wer die Regeln an der Tür kennt, der weiß natürlich, daß er bzw. sie zu warten hat. Auch wenn es mittlerweile gar keinen Spaß mehr macht. Aber ohne Fleiß kein Preis!

Und schließlich tut der Alkohol seine goldige Wirkung: Bevor es den Damen bewußt wird, bahnt sich ihr Drink von vor einer Stunde einen Weg ins Freie und läßt sich nicht mehr aufhalten. Und dank unserer Scheinwerfer haben wir den absoluten Logenplatz für dieses Naturschauspiel. Und dann noch unsere Überwachungskamera, die eigentlich nur dem Discjockey zeigen soll, ob es an der Tür Probleme gibt. Doch er hat in seiner Anlage natürlich auch einen Videorekorder, und das einfache Kaufhaus-Überwachungs-Schwarzweiß-Modell haben wir schon vor zwei Jahren gegen eine Farbkamera mit fernsteuerbarem Zoom gewechselt. Die Filme sind anschließend nicht nur hervorragend geeignet, um neue Kollegen zu schulen, sie dienen auch dem Vergnügen, wenn die Nacht mal wieder rum ist, und wir im Morgengrauen schließen.

Natürlich sind nicht alle Frauen blöd. Manche merken durchaus, worauf wir raus wollen. Und manchmal sagen wir einem hübschen Ding auch schon mal, was Sache ist. Denn leider können wir zwar keine Leute mehr ins Lokal lassen, die sich draußen bereits in die Hose gemacht haben - aber wenn die Show uns gefallen hat, dann hat die Betreffende bei uns später am Abend in neuen Klamotten oder auch am nächsten Tag etwas gut und bekommt keine Türprobleme mehr. Und wenn ich wirklich sehe, daß es eine freiwillig tut, um mir eine geile Show zu bieten - ja dann kann es auch mal passieren, daß ich sie bitte, wiederzukommen, wenn wir schließen, und zwar, ohne vorher die Kleidung zu wechseln, und dann darf sie mit zu mir nach Hause kommen. Und natürlich auch am nächsten Tag ins Lokal.

Und was am schönsten ist: seit wir diese Spielchen zur generellen Regel gemacht haben, ist unser Publikum um einiges witziger und besser gelaunt als früher: statt blasierter Schicki's haben wir nun eine wirklich angenehme Mischung. Das ist auch unserem Chef aufgefallen, der natürlich wissen wollte, wie wir das erreicht haben. Aber das ist unser "kleines Geschäft"-sgeheimnis!

-.-.-